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Erst das Chaos bringt die Macht

Veröffentlicht am 05.10.2019

Bemerkungen zur Diskurs-Taktik von Populisten, Autoritären, Schlangenölverkäufern

Die Taktik von Populisten, Autoritären und Schlangenölverkäufern im Politischen ist immer dieselbe. Durch das Wuchern mit Klarheit erzeugen oder fördern sie genau jene Verwirrung, die ihre Klarheitsversprechen noch attraktiver machen. Denn die Klarheit, die sie herzustellen vorgeben (ob Unabhängigkeit oder Gleichheit, Rückkehr in die gute Vergangenheit oder großer Sprung in die gute Zukunft, etc.), ist nicht mit der Komplexität und dem Eigensinn der historischen Realität kompatibel, erzeugt also noch mehr Verwirrung, Probleme, Konflikte, die sie wiederum mit ihren Klarheitsprogrammen zu lösen versprechen. Somit sind sie stets bestrebt, Nüchternheit, Abwägung, Offenheit, echte Pluralität als Zeichen von Schwäche erscheinen zu lassen, um bedachtere, differenzierte, nachhaltig orientierte Zeitgenossen aus dem Diskurs auszuschließen, sei es durch Diffamierung als Gutmenschen, Revolutionsverhinderer oder einfach nur als Langeweiler. Ist das Getöse erst einmal perfekt, ja wirkt es wie Normalität, melden sich diejenigen, die Substantielles statt Beeindruckendes zu sagen hätten; die lieber denken als meinen und lieber arbeiten als poltern; die Überlegungen Parolen und Kritik Aktionismus vorziehen, gar nicht mehr zu Wort. Von den Introvertierten und Hochsensiblen ganz zu schweigen.

Die eingangs genannten Personengruppen setzen alles daran, den Raum der Öffentlichkeit in einen durch und durch kämpferischen, kriegerischen Raum zu verwandeln, auf dass die Friedliebenden und Bedachten verstummen. Die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, schlüssig und unschlüssig, muss dabei hinfällig werden, damit an Stelle langfristig orientierter liberaldemokratischer Überzeugungsarbeit schiere Machtausübung treten kann. Wenn nicht mehr argumentiert oder einfühlend miteinander umgegangen werden kann, weil allgemeine Verwirrung und Aggression herrscht, weil insgeheim niemand mehr weiß – und diese Unsicherheit umso martialischer überspielt –, wo oben und unten, rechts und links, vorne und hinten ist, dann frohlockt die Macht und ihre kleine Schwester, die Gewalt.

In diesen miteinander verbundenen Zuständen, der des gezielt herbei geführten Chaos-durch-Klarheit und der der allgemeinen Agonalisierung, vermischen sich ethische und ästhetische Kategorien, Affekt und (Schein)Argument bis zur Unkenntlichkeit. Im Banne des Bildes des Verheißenen erstrahlt jedes Wort, genauer: jeder Sprechakt in güldenem Licht – und sei er noch so verdorben, noch so verroht, noch so dürftig, noch so offensichtlich eine Lüge oder noch so offensichtlich eine utopische Schwärmerei. Ziel der Konfusion-Aggressions-Taktik ist es, dass sich möglichst viele Menschen, ermattet und zermürbt vom unablässigen, massenmedial verstärkten Gesumse, den Populisten, Autoritären und Schlangenölverkäufern anverwandeln; sich schlicht aus psychischer, emotionaler Überforderung und Überreizung ihren Bewegungen anschließen, also selbst zu Loudmouths werden, sich selbst der Verbalgewalt, der Diskurs-Exklusion, der Beschämung Anderer und/oder Schlimmerem schuldig machen. Denn erst wenn sich alle schuldig gemacht haben, wenn alle zu "partners in crime" geworden sind, ist das vereinte, autoritäre Kollektiv perfekt – dann decken sich die Involvierten gegenseitig, können nicht mehr zurückrudern, ohne ihr Gesicht, nein: ihre Maske zu verlieren. Diesen Gefallen sollte man ihnen niemals tun.