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Hupräume. Ein interkultureller Vergleich

Veröffentlicht am 31.12.2016

Unlängst in Beijing. Im Straßenverkehr fällt zuvorderst eines auf: die Unterschiede zwischen Deutschland und China hinsichtlich des Hupverhaltens.

Wenn der Deutsche – als solcher – hupt, so begleitet er dies mit Gesten der Wut, wilden Flüchen und Verwünschungen. Er tobt und eifert, wie das denn sein könne, dass der da, dass die da so unverfroren nach links statt rechts, so langsam auf der linken, derart zögerlich vor der Ampel und so weiter. Das prosaische Geschehen auf der Straße verwandelt sich in ein gnostisches Spektakel, in einen Endkampf zwischen Ich und den Anderen, Recht und Frevel, Gut und Böse. In seiner Fahrerkabine tritt der Deutsche an die Stelle des Erzengels Michael, der die Seelen der Verkehrssünder unerbittlich ins Höllenfeuer stößt und dabei die Hupe statt der Posaune betätigt.

Der Chinese – als solcher – hupt häufiger und durchaus insistenter als der Deutsche. Doch im Gegensatz zu letzterem bleibt er dabei ruhig. Kein Wort, vor allem kein Schimpfwort, kommt ihm über die Lippen, kein Äderchen platzt in seinem Gesicht. Der Chinese hupt, weil er schlicht etwas kommunizieren möchte: Achtung, ich komme von links. Falls Du mich nicht gesehen hast, hier zur Sicherheit ein Signal. Achtung, ich habe es eilig, es wäre angebracht, mir Platz zu machen. Achtung, ich fädle mich auf engstem Raum ein, es wäre gut, wenn Du dir dessen gewahr wärest.

Der Deutsche ist kaum je daran interessiert, ob seine Hupaktion tatsächlich positive praktische Konsequenzen hat. Er möchte nicht etwas, sondern sich mitteilen und dabei etwas erteilen, nämlich eine Lektion. Wichtig ist ihm, dass der Andere da draußen und idealerweise die gesamte Menschheit erfährt, dass er sich verletzt, übergangen, missverstanden oder provoziert fühlt; vor allem aber, dass er im Recht ist.

Der Chinese verbindet mit seinem Hupsignal ein praktisches Anliegen. Es geht ihm nicht um seine Gemütslage, um Satisfaktion oder um die Metaphysik des Straßenverkehrs als moralischer Anstalt. Es geht darum, dass der Fahrgast rechtzeitig ankommt, der Wagen nicht zerschrammt wird oder die Fracht unbeschadet ihr Ziel erreicht.

Der Deutsche hupt moralisch.

Der Chinese hupt pragmatisch.