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Interview mit Ruyter Suys

Veröffentlicht am 26.04.2015

Im vergangenen Jahr traf ich Ruyter Suys von Nashville Pussy zum Interview. Auszüge aus dem Gespräch findet ihr hier, (kostenpflichtig) die gesamte Transkription des Gesprächs unter dem Link "ganzen Eintrag lesen".

Ruyter, Du stammst aus Kanada und hast dort Kunst studiert. Was genau?

Bronzeguss. Ich habe Bildhauerei studiert und habe dann jahrelang in einer Gießerei gearbeitet, das hat eigentlich ziemlich Spaß gemacht. Und als Traktorfahrerin habe ich auch gearbeitet.

 

Wie kamst Du von der Kunsthochschule zum Rock'n'Roll?

Es war mein bewusste Entscheidung, auf die Kunsthochschule zu gehen. Gitarre spiele ich, seit ich ein kleines Kind bin. Und ich glaubte schon damals daran, dass ich einmal Rockstar werden würde. Doch als ich so um die 17, 18 Jahre alt war, dachte ich, das Dasein als Rockstar sei unverantwortlich. Außerdem war ich immer noch nicht berühmt. Also dachte ich, es sei besser, zu studieren und einen Abschluss zu machen. Es ist schon absurd – die 'verantwortungsbewusste' Entscheidung in meinem Leben bestand darin, Künstlerin statt Musikerin zu werden! Naja, meine Eltern wurden mit mir während ihres letzten Universitätsjahres schwanger und machten deshalb nie ihren Abschluss. Schon deshalb dachte ich, ich müsse das machen. Damit sie sich etwas besser fühlen. Nach der Kunsthochschule war ich eine Weile als Künstlerin tätig, und zwar sehr erfolgreich. Ich hatte als Beste meines Jahrgangs abgeschlossen und schon kurz darauf kaufte die Kunstkritikerin einer Zeitung meine Werke. Von da an war alles recht einfach. Aber natürlich wurde meine Kunst so zu einer Ware...

 

... was im Kunstkontext oft problematisiert wird. Im Rock'n'Roll hingegen nicht. Da ist es kein Problem, ja eigentliches Ziel, berühmt zu werden und viele Platten zu verkaufen.

Naja, wir verdienen ja nichts, insofern stellt sich das Problem gar nicht (lacht). Wie dem auch sei: Ich habe Blaine getroffen und wir sind prima miteinander ausgekommen. Als er meine Kunst gesehen hat, war er jedoch total enttäuscht. Er sagte: Ich dachte, Du würdest verrückteres Zeug machen! Du bist doch ein total durchgeknallter Typ, deine Kunst hingegen – naja... Und da dachte ich: Wow, alle anderen schleimen herum und erzählen mir, wie toll das ist, was ich mache. Als Blaine mich dann Gitarre spielen hörte, meinte er, ich sei als Gitarristin viel besser als als Künstlerin. Wir heirateten, zogen nach Nashville, gründeten Nashville Pussy und ich bin nie wieder zur Kunst zurückgekehrt.

 

Wie war es, nach einem Kunststudium im liberalen Kanada einen Südstaatler zu heiraten und nach Nashville zu ziehen?

Das war schon eigenartig. Ein Jahr lang habe ich mich gefragt: Was um alles in der Welt habe ich da getan? In Nashville verstand ich nicht mal das Englisch, das da gesprochen wird. Denn ich spreche natürlich das Englisch der Königin, ich stamme ja aus Kanada. Später zogen wir mit der ganzen Band nach Athens, Georgia, lebten zusammen in einem furchtbaren Haus. Ein Typ passte für uns auf das Haus auf, während wir auf Tour waren – und das waren wir eigentlich die ganze Zeit. Kamen wir von den Touren zurück, ging es eigentlich gleich wieder los, denn zuhause begannen wir schnell, einander zu hassen. Als wir genug Geld zusammen hatten, leisteten wir uns eigene Wohnungen.

 

Wie lebt es sich denn im Süden der USA? Hierzulande sind vor allem die Küstenregionen bekannt. Unser blinder Fleck ist, was sich im Landesinneren abspielt.

Nun ja, Atlanta wird das New York des Südens genannt. Es ist eine hippe Großstadt, in die eigentlich jeder Südstaatler zieht, der es zu etwas bringen will. Atlanta hat eine tolle Kulturszene. Man kann jeden Abend etwas vollkommen anderes unternehmen – und das an jedem Tag der Woche, seien es Sportveranstaltungen, Kunstevents oder Konzerte. Also, man kann in dieser Stadt ganz gut abtauchen. Was die Musik betrifft, so gibt es unzählige Musiker, die meisten davon im Hip-Hop. Das sind die großen Fische im Teich. Rock'n'Roll kann da nicht mithalten.

 

Und was ist mit den Südstaaten-Klischees? Ist da nicht auch etwas wahres dran?

Natürlich sind die wahr! (lacht) Wir haben einen Haufen Freunde, mit deren politischer Haltung wir nicht übereinstimmen. Aber es sind trotzdem unsere Freunde – ich kämpfe für Dich bis aufs Messer, aber lass mich mit Deiner Politik in Ruhe! Ich glaube absolut an das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch wenn ich gänzlich anderer Meinung bin. Man wählt ganz einfach anders, that's it. Und danach geht man zusammen einen heben.

 

Das klingt zutiefst amerikanisch...

... und das ist zutiefst amerikanisch!

 

Wie unterscheidet sich die Rezeption von Nashville Pussy in den USA und Europa?

Nun, hier existiert sie wenigstens! (lacht) In Europa läuft es gut für uns, in Amerika hingegen sind wir eher ein Stachel im Fleisch der Mehrheit. Unser Bandname darf in den Medien kaum genannt werden. Das ist schon ziemlich enttäuschend. Als wir angefangen haben, sah es eine Weile so aus, als stünde eine Revolution des Sprachgebrauchs bevor, als entspanne sich die Lage, als seien die Leute weniger fokussiert auf Sprache. Ich erinnere mich, wie Steven Tyler von Aerosmith einmal "Pussy" sagte – und zwar auf MTV! Ich dachte: Oh mein Gott! Als wir für den Grammy nominiert wurden, da meinten wir, "Pussy" sei endlich kein schmutziges Wort mehr. Aber dann wurde eine neue Liste gemacht und nun darf man 20 Wörter nicht mehr im Fernsehen sagen; nicht nur die sieben, über die George Carlin sprach.

 

Wie kam es zu diesem Wandel?

Einer der Gründe ist das Parents Music Resource Center. Das macht Musikern das Leben zur Hölle. "Explicit lyrics" hat es immer schon gegeben. Ich wuchs mit Frank Zappa auf – daran ist doch nichts Neues. Also, ich kann zwar nicht genau sagen, warum alles so streng geworden ist, aber es ist ziemlich enttäuschend. Was ist denn da los? Überall haben die Menschen Angst. Sie haben Angst, wegen einer Kleinigkeit wie irgendeinem Wort ihren Job zu verlieren! Es ist ohnehin schon schwer genug, im Radio gespielt zu werden. Und wenn man dann noch eine Steilvorlage gibt wie den Namen "Nashville Pussy" – na, dann gute Nacht. Da fragen sich manche: Wegen diesem möglicherweise ganz passablen Rocksong dieser Band soll ich meine Karriere aufs Spiel setzen? Verdammt noch mal, nein! Aber dank des Internets gibt es uns noch immer.

 

Gibt es Reaktionen auf Nashville Pussy von Seiten religiöser Extremisten oder radikaler Feministinnen? Songs wie "Lazy Jesus" oder Deine, nun ja, recht offenherzige Bühnenpräsenz bieten da doch Steilvorlagen.

Was die Religiösen betrifft – nein, eigentlich nicht wirklich. Wir bekommen vor allem reflexhafte Reaktionen auf den Bandnamen, das war's eigentlich. Die Leute bleiben beim Bandnamen hängen, sie denken nicht darüber hinaus. Aber von feministischer Seite bekomme ich manchmal tatsächlich Gegenwind. Das ist schon ziemlich ironisch. Ich würde mich selbst, in aller Bescheidenheit, als eine Ikone des zeitgenössischen Feminismus bezeichnen. Denn ich habe das frauenfeindliche Wort "pussy" genommen und etwas Neues daraus gemacht. Ich bringe Leute dazu, "pussy" zu sagen, ohne "pussy" zu meinen – "pussy" ist ein anderes Wort dafür, Eier zu haben! (lacht) Plötzlich signalisiert ein Wort Stärke, das eigentlich dafür gedacht war, Schwäche zu kennzeichnen. Nichts von dem, was ich mache, ist "pussy". Ich bin ein Produkt der bra burning generation. Ich bin eine sixth wave feminist. Wenn meine Mutter nicht 1967 ihren BH verbrannt hätte, dann spielte ich heute nicht in einer Band namens Nashville Pussy. Deshalb sage ich meiner Mutter immer – es ist alles deine Schuld! Du hast mich einfach zu sehr zur Selbständigkeit erzogen! (lacht)

 

In den Songtexten von Nashville Pussy spielen Outlaws, Outsider, Abweichler und Rebellen eine große Rolle. Was versteht Du unter solchen Typen? In der Musikindustrie sind sie doch zur bloßen Folklore verkommen.

Ich weiß es nicht. Für mich ist ein Rebell ganz einfach jemand, der selbständig und unabhängig denkt. Blaines Texte etwa sind, oberflächlich betrachtet, verletzend und zum Schreiben, doch wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass er eigentlich Poesie schreibt. Er reiht sich in die Geschichte seiner Lieblings-Songwriter ein, er ist sehr wortgewandt. Und alleine das ist für mich schon rebellisch. Denn man braucht eine Weile, um dahinter zu kommen, man muss schon ein bisschen nachdenken. Es ist nicht so oberflächlich, wie viele denken.

 

Nehmen wir als Beispiel den Text von "Lazy Jesus" vom Album "From Hell to Texas". Beim ersten Durchhören – ein klarer Fall von Blasphemie. Doch Blaine ist christlich aufgewachsen und wie ich an anderer Stelle las, geht es ihm nicht um eine Abrechnung mit dem christlichen Glauben.

Blaine ist zwar kein Christ, aber er wurde in Kentucky im Geist der südlichen Baptisten (southern baptists) aufgezogen. Da hat jeder sein persönliches Jesus-Problem, um es mal gelinde auszudrücken. Als Teenager war Blaine definitiv sehr stark beeinflusst von der Bergpredigt. Und er hatte eines der schrecklichsten Erlebnisse, das ich mir vorstellen kann. Ein Prediger kam zu ihm nach hause, als er etwa 12 Jahre alt war und sagte: Du bist noch nicht gekommen, um Dich wiedertaufen zu lassen! Blaine ging damals mit seinen Eltern zur Kirche und die Grundidee der Baptisten ist es ja, in einem gewissen Alter wiedergetauft zu werden. Und das hatte er eben nicht getan. Aber nicht etwa wegen mangelnden Glaubens. Denn er hing damals wirklich Jesus an. Er wartete einfach nur auf den inneren Drang, der ihm sagte: Steh auf und lass Dich wiedertaufen! Der Priester aber fragte ihn sinngemäß: Was ist Dein Problem? Blaine sagte, dass er auf den richtigen Moment warte. Die Antwort des Priesters lautete: Es gibt keinen richtigen Moment, außer: jetzt! Dann musste Blaine im Haus seiner Eltern niederknien und geloben, dass er Jesus liebe. Seitdem heißt es bei Blaine: Fuck you! Das ist doch Bullshit! Denn er wusste, dass er in diesem Moment log. Und irgendwie hat er darüber immer eine seltsame Form von Kentucky-Schuld verspürt. Vor einigen Jahren hat er dann ein Gospel-Album namens Hail Jesus veröffentlicht; das ist sein persönlicher Gospel. Und es ist wunderschön geworden. Auf dem Album geht es nicht darum, jemandem seinen Glauben aufzuzwingen. Blaine knüpft an die Tradition von Ray Charles und Jerry Lee Lewis an, die ebenfalls Gospel-Alben veröffentlicht haben. Wie auch immer: Ein furchtbares Erlebnis – niederknien und die Liebe zu Jesus geloben, im eigenen Haus! So etwas hätten meine Eltern nie mit mir gemacht. Die hätten den Typen sofort rausgeschmissen.

 

Du wurdest also nicht religiös erzogen?

Nein, überhaupt nicht. Aber ich bin mit meiner römisch-katholischen Großmutter zur Kirche gegangen und meine Mutter wurde von Nonnen erzogen. Als sie zum Hippie wurde, ließ sie mich einerseits Bibelstellen lesen, sagte mir aber zugleich, was an ihnen nicht stimmte. Als ich ein Kind war, kam Papst Johannes Paul II. nach Vancouver, das war eine große Sache. Ich war Mitglied eines Chores, der für ihn sang. Meine Mutter sagte mir: Schön und gut, aber aus folgenden Gründen stimmen wir mit dem Papst nicht überein. Und dann zählte sie eine ganze Reihe auf. Der erste lautete: Familienplanung (birth control). Aber gleichzeitig wollte sie, dass ich die Katholische Kirche bis zu einem gewissen Grad anerkenne. Und tatsächlich steht ja viel guter Scheiß in der Bibel...

 

Lemmy von Motörhead behauptet, sie ganz gelesen zu haben. Sein Urteil: Es handelt sich um das gewalttriefendste Buch überhaupt!

Ja, völlig richtig. Ich habe versucht, die Jungs von Slayer davon zu überzeugen, dass ihr nächstes Album "Pro God" heißen solle. Schaut man auf die Statistik, dann hat Gott viel mehr Leute umgebracht als der Teufel. Das Verhältnis ist ungefähr ein paar Millionen zu 14. Es steht also außer Frage, wer das größere Arschloch ist! (lacht) Gott ist ein Tyrann!

 

Was sind deine Erfahrungen als Frau im Macho-Zirkus des Rock'n'Roll?

Nun, alleine schon, dass Du diese Frage stellst und das Gender-Thema ansprichst, zeigt, dass Frauen noch einen weiten Weg vor sich haben. Ich glaube, wir müssen hier zwei Rollen spielen: Einerseits müssen wir uns unsere Weiblichkeit bewahren, andererseits müssen wir gewissermaßen in einer Jungs-WG überleben. Man muss sich mit den verfluchten Furz-Witzen arrangieren ("roll with the fucking fart-jokes") und allen möglichen sonstigen Schwachsinn ertragen. Aber es geht auch anders herum. Wenn wir eine neue Crew haben, schicken wir sie erstmal los um Tampons zu kaufen.

 

Das klingt alles nicht nach traumatischen Erfahrungen.

Nein, eher gewährt man uns bevorzugte Behandlung. Weil wir eine solche Rarität sind! Wir spielten die Tattoo the Earth Tour um 1999, 2000, da waren wir aus 20 Bands die einzigen Frauen, die auf der Bühne standen. Alle anderen Frauen arbeiteten im Catering oder in der Produktion. Das verschaffte uns viel Sichtbarkeit – und alle wollten uns unbedingt treffen und mit uns feiern. Man brachte uns große Dankbarkeit entgegen: Endlich mal keine langhaarigen Typen in Camouflage-Hosen und schwarzen T-Shirts! Also, wir sind eine Kuriosität, wie ein Mädchen in einem Baseball-Team.

 

Euer Vorbild Lemmy sagt: Ehefrauen und Freundinnen auf Tour sind tabu! Wieso klappt es bei Dir und Blaine?

Ach was, Lemmy nimmt doch unzählige Freundinnen mit auf Tour! Er hat Freundinnen auf der ganzen Welt, manche von ihnen schon seit 20, 30 Jahren. Und die trifft er immer noch. Er hat eben nur keine von ihnen geheiratet. Ich weiß nicht, wie Mikkey Dees Frau so drauf ist, aber von Phil Campbell weiß ich, dass seine Frau dem Latter Day Saint Movement angehört – also, es wäre wohl tatsächlich keine gute Idee, sie mit auf Tour zu nehmen! Aber natürlich hat Lemmy recht, es ist schon kompliziert, Freunde oder Freundinnen mit auf Tour zu nehmen. Wir haben schon welche von unterwegs nach hause geschickt – wenn sie unartig waren. (lacht)

 

Wie hast Du's mit den Drogen? Sie spielen ja eine große Rolle in Blaines Texten.

Also, ich habe wirklich keine Ahnung, was da mit meinem Ehemann los ist. (lacht) Aber Scherz beiseite: "Pillbilly Blues" vom neuen Album handelt von einem großen Problem in Kentucky. Der Wirtschaft dort geht es so mies, dass viele Menschen nach Florida fahren oder fliegen, dort billige schlechte Drogen kaufen und sie dann in Kentucky und Indiana vertickern. Man nennt das den Oxycontin Express. Viele von ihnen wandern in den Knast – obwohl sie vielleicht eigentlich Hausfrauen sind, keine Verbrecher. Tja, das ist der moderne bootlegger blues. Nicht Alkohol, sondern Pillen.