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Kolumne: Die Kunst und alles andere

Veröffentlicht am 26.02.2020

Seit 2018 bin ich Kolumnist der Stuttgarter Zeitung. Im Abstand von jeweils einem Jahr veröffentliche ich die monatlichen Kurzessays auf meinem Blog.

Aus Gründen, die hier nichts zur Sache tun, war ich unlängst auf dem Lande. Die Luft strömte frisch durch die norddeutsche Provinz, Wohnhäuser und Gehöfte hielten respektvoll Abstand zueinander, ein Bächlein plätscherte geschichtsvergessen vor sich hin. Ganz anders als in der Stadt, dachte ich, im malerisch windgebauschten Mantel einen Feldweg entlang spazierend. Schon fielen sie ab von mir, die Sorgen des Städters, die Nervosität des überreizten Kopfarbeiters, der Albdruck des Urbanen. Bis ich den Landmenschen begegnete.

In den Fußbodenheizungen ihrer überdimensionierten Wohnanlagen gurgelte Öl aus saudischer Förderung, sie fuhren mindestens zwei PS-starke Muscle Cars, verfügten über gletschergroße Tiefkühlanlagen, ihre Küchen waren von IKEA, sie unterhielten sich bevorzugt über Glasfaserkabel, GPS-Systeme und Bitraten, spekulierten nebenbei an der Börse und wenn ihnen ein Kraut zu frech über das Grundstück wucherte, sprühten sie ein bisschen Pestizid darauf. Ein 65-jähriger Herr, mit dem ich kurz am Gartenhag plauderte, erzählte mir, er habe im Internet eine neue Frau gefunden. Die letzte, leider vor ihm verstorbene, sei 30 Jahre älter gewesen, die neue sei hingegen, wie zum Ausgleich, ganze 45 Jahre jünger. Aus Ghana stamme sie, ließ er mich ungefragt wissen. Gut, merkte er an, die Menschen hier stünden Schwarzen skeptisch gegenüber, aber das werde sich sicherlich einspielen. Bereits nächste Woche solle die angebetete Unbekannte eintreffen, Kinder wolle man alsogleich zeugen, das sei doch klar, vorsorglich habe er sich untersuchen lassen – "untenrum alles fit", verkündete er stolz. Im Gespräch mit weiteren Bewohnern des bukolischen Weilers stellte ich fest, dass alle alles über alle anderen wussten, auch ohne Facebook. Ich war in ein totales soziales Netzwerk geraten. Soziale Medien nutzten viele obendrein.

Grübelnd spazierte ich weiter. Das beruhigende Murmeln des Bächleins hatte sich in wirres Gestammel verwandelt, die eben noch belebende Frischluft verursachte mir Kopfweh. Während sich die Menschen in den Städten vermehrt als Imker betätigen oder als Urban Gardeners urwüchsige Rüblein auf ihren Balkonen anpflanzen, ihre Körper in Ökowolle zu hüllen belieben, sich um die Bienen und den fernen Regenwald sorgen, ihre Autos verschrotten und in steter Angst vor WLAN-Smog leben, mit der Globalisierung hadern und überhaupt die technologische Zivilisation fürchten, schienen diese Landbewohner ein ungleich entspannteres Verständnis zu den in Misskredit geratenen Segnungen der Moderne zu haben. Sie sind, dachte ich mir, eigentlich wie Großstädter. Nur urbaner.