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"Prop. Pop I-V und die Poptheorie als paradoxer Barbar". Exzerpt aus meinem Essay für das Magazin POP Kultur & Kritik, 10/2017

Veröffentlicht am 04.04.2017

"Die Poptheorie ist der paradoxe Barbar, auf den das Pop-Imperium seit Pop III vielleicht nicht sehnlichst gewartet, den es jedoch dringend benötigt hat, um nicht an Selbstgenügsamkeit zu ersticken. Wir, die blassen Exegeten und Gouvernanten der Popkultur, die fremdwortbewehrten Zaungäste, die ihre Pubertätserfahrungen professionalisierenden und perpetuierenden Nicht-zu-Ende-Aufgewachsenen, wir also haben das in die Jahre gekommene Imperium Pop vitalisiert und energetisiert, gerade indem wir es analysiert, kontextualisiert, musealisiert und verkompliziert haben. In dem Moment, da Pop imperativisch und konservativ wurde, als Lebensstil, als Ausdruck des Konsumismus, als politisches Kalkül, da kam die Blutgrätsche der Theorie und brachte den in rasendem Stillstand um sich selbst kreisenden Pop-Derwisch aus der Bahn.

Wenn Lemmy Kilmister mit normativer Verve konstatierte: 'Je mehr du etwas analysierst, desto weniger Leben hat es' und 'Man darf den Rock ’n’ Roll nicht analysieren', so stellte er Regeln auf wie die von ihm und anderen Pop-Renegaten verachteten älteren Generationen. Tu dies, tu das, tu dies nicht, tu jenes nicht, Pop ist dies, Rock ʼnʼ Roll ist das. Die Theorie ignorierte diese Regeln und ließ sich nicht davon abbringen, auch Motörhead zu sezieren. Wenn wiederum [David] Bowie oder Bob Dylan sich allen möglichen Bestimmungen und Begrenzungen zu entziehen versuch(t)en, im Laufe ihrer Karrieren immer vorhersehbarer, so war es die Theorie, die den Begriff im hegelianischen Sinne, also im Sinne von 'greifen' und 'zugreifen', gegen das vermeintlich Nicht-Greifbare ins Feld führte. Die Poptheorie der Postmoderne kanonisierte und essentialisierte das Fluide und Performative des Pop, auch wenn sie mitunter steif und fest behauptete, dies nicht zu tun. Auf diese Weise konterkarierte sie die Dylanʼsche Ich-bin-dann-mal-weg-Routine. Gebe Du, Bob, Dich ruhig gasförmig. Wir ändern einfach Deinen Aggregatszustand.

Vor dem Hintergrund der Normalisierung von Popkultur und Popmusik macht es heute auf perverse Weise nachgerade Spaß, Theoretiker zu sein. Die Theorie tanzt ihren eigenen Tanz, eine seltsame Mischung aus Pogo und Walzer. Plötzlich ist selbst Adorno in all seiner Hermetik sehr viel mehr Punk als der Punkrock – immerhin liefert er der Kulturindustrie bislang keine ästhetische Inspiration, die sich auf Diesel-T-Shirts drucken lässt und vom Londoner Stadtmarketing begierig aufgesogen wird.

Kurz: Die Poptheorie hat dafür gesorgt und sorgt weiterhin dafür, dass all die habituellen Partygänger, die berufsjugendlichen Biedermänner und -frauen wie auch die verhockten Apokalyptiker des Heavy Metal sich nicht einfach in ihre jeweiligen Feelgood/Feelbad-Biotope zurückziehen können. Beständig werden sie mit der Schwere der Begriffe, der Hartnäckigkeit der Kontexte und der Penetranz theoretischer Zuschreibungen traktiert, wie einst die Trommelfelle der Väter- und Großmüttergeneration mit dem Kreischen der E-Gitarren und dem Wummern der Schlagwerke traktiert wurden. Kein Club ohne Fußnoten. Kein Beat ohne Beleg."

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