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Rede über die Hürden des Menschen

Veröffentlicht am 01.03.2017

Auszug aus meinem Essay über die Verbindungen zwischen Post/Transhumanismus und (christlicher) Theologie für das Buch "Möglichkeit Mensch. Körper, Sphären, Apparaturen", soeben erschienen im Neofelis Verlag (Link zum Buch).

"[Thomas von Aquin] behauptete, dass „Gott bei der Einsetzung der menschlichen Natur […] dem menschlichen Leib etwas zuteilte, was über jenes hinausgeht, was ihm aufgrund natürlicher Prinzipien zukommen muß.“[1] Hier ist wichtig zu beachten, dass dieses „etwas“ dem Leib zugeteilt worden sein soll, also nicht nur irgendwie über, neben oder unter dem Menschen schwebt. Sprich, wenn Leib und Seele zusammengehören, dann müssen sie auch zusammen im Jenseits auferstehen. Wichtig ist zudem, dass die Menschen das ewige Leben als Individuen erhalten, dass also nicht ihre zerteilte Materie als Bausatz für eine jenseitige Arterhaltung aufersteht, für welche das Individuum ja unerheblich wäre. Einen Unterschied zum diesseitigen Individuum, der Post- und Transhumanisten entzücken dürfte, gibt es jedoch: Der Körper des Individuums wird im Jenseits von all seinen Mängeln befreit sein, es wird sich um einen perfekten, vollendeten Körper handeln: „Die Leiber der Auferstandenen [werden] derselben Art sein […] wie unsere jetzigen Körper“, schreibt Thomas, abgesehen davon, dass es „keinen Verfall, keine Unförmigkeit und keinen Defekt geben wird.“[2] Auch werden diese Super-Körper weder der Nahrung noch anderer misslicher Dinge wie der Sexualität bedürfen.

Streng logisch auf Zirkelschlüssen aufbauend, wie es für die Scholastik typisch ist, argumentiert Thomas von Aquin, dass die Menschen im Jenseits nicht essen müssten, da sie ja bereits „Vollgestalt“ erreicht hätten. Nahrung diene dem Wachstum – die Menschen könnten doch nicht ewiglich wachsen! Auch müssten sie sich nicht mehr vermehren, denn: „Der Sexualverkehr richtet sich auf Zeugung. Gäbe es mithin nach der Auferstehung Sexualverkehr […] so folgte daraus, daß es auch dann noch, so wie jetzt, Zeugung von Menschen gäbe. Somit wird es nach der Auferstehung viele Menschen geben, welche es vor der Auferstehung nicht gegeben hat.“[3] Und das könne ja keinesfalls angehen – unverdient das ewige Leben zu erhalten!

Thomas von Aquins psychosomatische Superkörperschau belegt, dass bereits mit Blick aufs Mittelalter von post- und transhumanistischen Menschen avant la lettre gesprochen werden kann. Der auferstandene Mensch ist Mensch und doch nicht Mensch. Funktionen seines Körpers werden ausgetauscht und optimiert, wie es heute beim Cyborg der Fall ist, andere Funktionen werden beibehalten. Er bedarf nicht mehr der sexuellen Reproduktion alter Schule, da der Fortbestand des Individuums, nicht der Art das oberste Ziel ist – … da treffen sich Thomas von Aquin und Ray Kurzweil.

Der Tod schlussendlich wird in beiden Lagern, dem christlich-scholastischen wie dem post- und transhumanistischen, als Defekt gedeutet, der jedoch vermittels Glaubens- wie auch Wissenschaftstechniken überwunden werden kann. Kurzweil liegt also daneben, wenn er die Religion ablehnt. Sein szientistisches, technokratisches Denken ist religiös gefärbt – auf eine Weise, wie Pico della Mirandolas Humanismus post- und transhumanistisch gefärbt ist. Im Laufe der Geschichte entwickelte sich aus dem Nachdenken über die Würde des Menschen eine Kritik der Hürden des Menschen und daraus eine Theorie und Praxis der „Möglichkeit Mensch“."


[1] Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, Bd. 4, hrsg. v. Markus H. Wörner. Darmstadt: WBG 2005, S. 479.

[2] Ebd., S. 523.

[3] Ebd., S. 499.