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Vereint in Angst. Zur Debatte um das Podium "Die neue Avantgarde" im Zürcher Theater Gessnerallee

Veröffentlicht am 05.03.2017

Die Gegner des geplanten Podiums "Die neue Avantgarde" stehen sich selbst im Weg. Ihre Forderung nach Zensur überschattet im öffentlichen Diskurs ihr berechtigtes und dringliches Anliegen, nämlich das entschlossene Eintreten gegen die Renaissance des Reaktionären und Regressiven – ein Anliegen, das sie paradoxerweise mit den Veranstaltern, die indes auf andere Methoden setzen, teilen.

Anstatt der aus ihrer Sicht fatalen, weil den Gegner nobilitierenden Diskussionsrunde mit Raffinesse zu begegnen, haben sich die Gegner auf eine Strategie verlegt, die Marc Jongen und der AfD direkt in die Hände spielt: Seit ihrem offenen Brief und dem massiven Druck auf das Theater Gessnerallee werden die Protestierenden in der Medienöffentlichkeit zunehmend als Antidemokraten und Träger intellektueller Ignoranz wahrgenommen – Zuschreibungen, die ihren Werten und Anliegen nicht gerecht werden.

Seine Gegner wollten dem AfD-Mann Marc Jongen die kleine Bühne der Gessnerallee verbieten. Mit besten Absichten haben sie ihm jedoch die ungleich prominentere Bühne der Medienöffentlichkeit verschafft. Das eigentliche Podium hat bereits stattgefunden.

In den Reaktionen auf den offenen Brief wird Jongen nun nicht nur ständig – wie auch im Protestschreiben selbst – als "AfD-Politiker" bezeichnet – was er (noch) nicht ist –, er firmiert auch als "AfD-Vordenker" – was er ebenfalls nicht ist – oder gar als "AfD-Chefideologe" – ein Posten, der nicht existiert. Auf der Wikipedia-Seite der AfD taucht sein Name an keiner Stelle auf. Ein Kritiker ging soweit zu behaupten, Jongen habe "bereits gewonnen". So stilisierte er ihn zu einem unüberwindbaren Herkules und sich selbst zum geschorenen Samson; die übrigen Podiumsteilnehmer hingegen, darunter die in der Debatte leider völlig übergangene Laura Zimmermann, zu vernachlässigbaren Randfiguren, welche dem Thymos-Heros Jongen gar nicht gewachsen sein können, da sie nicht das Gütesiegel "links" tragen. Von solchen Attributen muss Jongen jahrzehntelang an seinem Schreibtisch geträumt haben. Dabei ist er sogar seine lange angekündigte intellektuelle Grundlegungsschrift für die AfD bislang schuldig geblieben.

Die Causa "Darf Jongen nach Zürich?" ist ein gutes Beispiel dafür, wie mediatisierte Diskurse jene Realität, welche sie zu reflektieren vorgeben, im Eigentlichen generieren; und wie gut gemeinte Kritik ihren Gegenstand mitunter ins Kosmische überhöht, damit sie am Ende umso tragischer und effektvoller an ihm scheitern kann.

Wie also hätte ein wirkungsvolles und glaubwürdiges Gegenszenario, das sich nicht seinerseits des Autoritären und Antidemokratischen verdächtig macht, ausgesehen? Hier mein – verspäteter – Vorschlag: Die Gegner geben bekannt, dass sie die Veranstaltung ablehnen und ächten, sie aber in einem demokratischen System selbstredend nicht verhindern können. Sie organisieren am selben Tag, zur selben Zeit eine intensiv beworbene Gegenveranstaltung in Zürich, auf welcher sie demonstrieren, wie die Auseinandersetzung mit dem Populismus aus ihrer Sicht richtig geführt werden müsste. Das Publikum müsste somit eine Entscheidung treffen, anstatt dass für es entschieden wird. So hätte man wirklich Stärke gezeigt, anstatt Marc Jongen vorsorglich zum Sieger einer Debatte zu erklären, die noch gar nicht stattgefunden hatte – und unter Beweis zu stellen, dass in beiden gegnerischen Lagern vor allem eines regiert: Angst.